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Kann man Europa gerecht werden?

Philipp Ther versucht es. In seinem Buch «Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa» analysiert der Historiker die Veränderungen Europas seit dem Fall der Mauer. Gleichzeitig möchte er eine erste Gesamtanalyse des Neoliberalismus in Europa vornehmen. Das ist mutig. Wie geht er die Sache an?

Viel Neues in Ostmitteleuropa

Zum einen setzt Philipp Ther klare geografische Schwerpunkte. Das hat viel mit seinen Forschungsschwerpunkten zu tun. Er ist Professor für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Wien. Er bringt Lebens- und Forschungserfahrung insbesondere aus Polen, der Ukraine und Italien mit. Obwohl der Titel eine Gesamtsicht auf Europa verspricht, kündigt auch das Titelbild die Schwerpunktsetzung an. Dort ist die funkelnde Silhouette des nächtlichen Warschaus abgebildet: Keine blühende Landschaft, sondern eine blühende Stadt.

Ther hakt nicht einfach eine Länderanalyse nach der anderen ab, sondern bevorzugt zwei andere Strukturierungselemente: Für einen Historiker naheliegend, nutzt er die Chronologie der Ereignisse für die Grobgliederung. Er entwirft zusätzlich eine Art Typologie für nationale Vergleiche, indem er Änderungsmuster in den analysierten Staaten zu identifizieren sucht (z.B. Unterschiede Stadt-Land, Grad an Sozialstaatlichkeit, Umgang mit Finanzkrise etc.).

Die Wirtschaft dominiert alles

Obwohl Ther selber kein Ökonom ist, setzt er gleichfalls einen deutlichen Fokus auf die wirtschaftlichen Veränderungsprozesse. Er nutzt öffentlich verfügbare Datenanalysen. Demokratisierung, neue Institutionen und auch Nationen werden der Wirtschaft untergeordnet. Damit will er auch zeigen, dass der Neoliberalismus nicht nur eine ökonomische Theorie ist, sondern mit seinen Denkmustern das gesamte Leben dominiert.

Persönlicher Erzählstil

Zum anderen geht Ther als Historiker stilistisch interessante neue Wege. Er verbindet die zeithistorische Analyse sehr stark mit seiner eigenen Autobiografie. Die reicht von Ferienerfahrungen in der DDR über familiäre Beziehungen in die Tschechoslowakei bis hin zu Forschungsaufenthalten in Italien. Damit bietet er einen persönlichen, narrativ gefärbten Zugang zu teils hochkomplexen Sachverhalten an.

Wo geht die Reise hin?

Zentral bleibt für mich die Frage: Wird Thers Vorgehen Europa gerecht? Hilft sein Buch, den Neoliberalismus insgesamt besser zu definieren? Und überhaupt: Ist es nicht viel zu früh, diese Veränderungsprozesse zu analysieren, wenn wir doch noch mitten drin sind? Diese Fragen und mehr werden Ulrich, Marco, Anna und Barbara in unserer nächsten Buchbesprechung diskutieren.

Der Suhrkamp stellt eine Leseprobe zur Verfügung. Schnuppert mal rein, ob ihr nicht auch Lust auf das ganze Buch bekommt.

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Barbara Bohr
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Category MikroBuch
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