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«Was man wissen kann, wenn man es wissen will»: neue Erkenntnisse zur Arbeit der Treuhandanstalt

Im nächsten MikroBuch-Podcast sprechen wir über Norbert F. Pötzls aktuelle Analyse der Treuhandanstalt. Ziel seines Buches ist es, den zahlreichen Legenden über die Treuhandanstalt mit nachprüfbaren Fakten entgegenzutreten, ohne dass dabei übersehen wird, dass Erinnerungen auch von Emotionen bestimmt werden. Anhand von erst seit Kurzem zugänglichen Dokumenten soll aufgezeigt werden, was man wissen kann, wenn man es wissen will (Pötzl, S. 31).

Totengräber der DDR-Wirtschaft

Wenn es darum geht, die Arbeit der Treuhandanstalt zu beschreiben, ist die Wortwahl meist nicht gerade zimperlich: Da ist die Rede von einem «unzähmbaren Ungeheuer», «Fehlversagen», einer «einzigen Schweinerei» und einem «Desaster». In den Medien wird die Treuhandanstalt meist einhellig zum Hassobjekt der Unzufriedenen. Fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist ihre Geschichte noch lange nicht aufgearbeitet. So forderte die Linke im Mai 2019 in einem Antrag an den Deutschen Bundestag einen erneuten Untersuchungsausschuss. Der Untersuchungsausschuss soll herausfinden, inwiefern die Treuhand-Anstalt das Verfassungsziel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland langfristig gehemmt habe. Man spricht auch gerne vom Treuhand-Trauma: Nach dem Mauerfall und beschleunigt durch die schnelle Währungsunion ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, die Treuhandanstalt habe das Volksvermögen der DDR zu Ramschpreisen verhökert und ruinöse Landschaften hinterlassen. Zwischen 1990 und 1994 wurden rund 8’500 ehemals volkseigene Betriebe der DDR privatisiert bzw. abgewickelt. Unter dem Strich machte sie 260 Milliarden DM Verlust.

Teil der kollektiven Erinnerung

Die Historiker Goschler und Böick halten in ihrer Studie von 2017 fest:

Die Treuhandanstalt repräsentiert in dieser fragmentierten Erinnerungskonstellation prominent die problematischen „Schattenseiten“ der nach dem Ende des SED-Regimes praktizierten Transformationspolitik in der Sphäre eines forcierten postsozialistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsumbaus von der Plan- zur Marktwirtschaft. Im nach wie vor stark auf die Zeit des Nationalsozialismus bezogenen Erinnerungshaushalt der Gegenwart erscheint sie, zumindest was die mittleren und älteren Generationen innerhalb der ostdeutschen (Teil-)Gesellschaft betrifft, sukzessive zu einer Art erinnerungspolitischen „Bad Bank“ avanciert, während sie im Westen – wenn überhaupt – eher abstrakt mit den als deutlich zu hoch empfundenen „Kosten“ der „Einheit“ verknüpft wird.

Constantin Goschler, Marcus Böick: Studie zur Wahrnehmung und Bewer­
tung der Arbeit der Treuhandanstalt. Bochum 2017, S. 13f.)

Ist eine Neubewertung möglich?

Doch stimmt diese negative Legendenbildung mit den historischen Fakten überein? Der Journalist Norbert F. Pötzl  analysiert die trubulenten Jahre der Treuhandanstalt in seinem neuen Buch «Der Treuhand-Komplex. Legenden. Fakten. Emotionen» anhand zahlreicher Akten und Interviews. Pötzl war langjähriger Spiegel-Redakeur und leitete von 1990-1994 das Berliner Büro des Magazins. Er kommt zu einem positiveren, differenzierteren Bild.

Nachdem wir uns in der letzten Buchbesprechung mit der Zukunft beschäftigt haben, schauen wir also dieses Mal 30 Jahre zurück und beschäftigen uns mit einem der umstrittensten Akteure der neueren deutschen Wirtschaftsgeschichte. Damit füllt Pötzl auch eine Lücke, die Philipp Thers historische Betrachtung des Neoliberalismus in Europa gelassen hat. In seiner Monografie, die wir Ende August besprochen haben, spielte die Umwandlung der DDR-Wirtschaft in eine marktwirtschaftliche Ordnung nur eine untergeordnete Rolle.

Die grosse Frage bleibt: Was hilft diese Form der Neubewertung für die Gestaltung der Zukunft? Haben nicht alle längst ihr Bild im Kopf? Darüber diskutieren Marco, Anna und Barbara im nächsten MikroBuch.

Wir danken der Kursbuch Kulturstiftung für die Rezensionsexemplare.

Barbara Bohr
Barbara Bohr

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