Das Buch „The People’s Republic of Walmart“ von Leigh Philipps und Michal Rozworski will eine Debatte darüber auslösen, dass zentrale Wirtschaftslenkung im Kapitalismus eine grössere Rolle spielen sollte. Im Mikrobuch #40 diskutieren wir diese These und werfen einen genaueren Blick auf die Argumentation dahinter.
Wirtschaftslenkung à la Walmart
Die Hauptidee des Buches besteht darin, die Vorstellung in Frage zu stellen, dass zentralisierte Planung ein rein sozialistisches Konzept sei. Die beiden Autoren wollen zeigen, wie große Unternehmen Wirtschaftslenkung in großem Maßstab betreiben. Auf diese Idee habe sie, so führen sie in ihrem Buch aus, der marxistische Literaturkritiker Frederic Jameson gebracht, der in seinem Essay An American Utopia: Dual Power and the Universal Army (2016) Walmart als logistisches Vorbild für eine neue, gerechte Gesellschaftsordnung vorgeschlagen hatte. Die beiden Autoren behandeln im Buch nicht nur die Planungsprozesse bei Walmart, diese dienen mehr als anekdotischer Anstoß des ganzen Buchprojekts, sondern auch bei Amazon, in der Finanzwelt und dem Gesundheitssystem. Damit wollen sie ihre These belegen, dass die Vorstellung von „Märkten“, wie sie in der marktradikalen Literatur dargestellt wird, nicht der Realität entspricht. Ihre Argumentation stützt sich insbesondere darauf, dass solche Unternehmen umfassende Datenanalysen, Lieferkettenmanagement und zentrale Koordination einsetzen, um Produktion, Vertrieb und Konsum effektiv zu organisieren. Ausserdem zeigen die Autoren ausführlich, wie Planung in der ehemaligen Sowjetunion, dem sozialistischen Jugoslawien oder auch im Chile Allendes funktionierte (bzw. woran die Planung dort jeweils scheiterte). Dabei wird aufgezeigt, wie zentrale Planungsprozesse aus der ehemaligen Sowjetunion ihren Weg in das Operations Research moderner Unternehmen gefunden haben.
Eine neue Perspektive für Planungsprozesse?
Das Buch plädiert also für eine Neubewertung der marktradikalen Überzeugung, dass zentralisierte Planung mit Marktwirtschaften unvereinbar sei. Vielmehr sei es sogar so, dass ein gewisses Maß an zentraler Planung und Koordinierung sogar bessere Möglichkeiten bietet, gesellschaftliche Probleme wie Ressourcenverteilung, Umweltbelange und wirtschaftliche Ungleichheit anzugehen, als wenn sie allein dem Markt überlassen würden. So schlussfolgern die Autoren mit einem ironischen Augenzwinkern:
Planning exists all around us, and it clearly works; otherwise capitalists would not make such comprehensive use of it. That’s the simple message of this book and one that strikes at the heart of the dogma that “there is no alternative.“
Phillips, Leigh; Rozworski, Michal. The People’s Republic of Walmart. Verso. S.242, p. 2802 der E-Book-Ausgabe.
Für das Verständnis des Buches ist es zentral, zu verstehen, was genau die Autoren unter «Planning» im Rahmen einer marktradikalen Sicht auf die Wirtschaft verstehen. Bei der Lektüre drängten sich mir auch Fragen auf: Sind die Vergleiche, die die beiden Autoren ziehen, nicht etwas weit hergeholt? Kann man das Agieren eines Unternehmens auf den Staat übertragen? Diese Fragen und weitere Implikationen der These des Buches wollen wir mit Euch besprechen. Hört demnächst mal wieder rein in unseren Podcast. Es wäre auch schön, der gewählte Präsident Argentiniens, Javier Milei, würde reinhören, aber das wird wohl Utopie bleiben… ;).
Angaben zum Buch
Das Buch ist bereits 2019 erschienen, weshalb wir uns unsere Exemplare dieses Mal selbst besorgt haben. Es gab keine Rezensionsexemplare mehr. Das Buch ist im Buchhandel als Hardcover, E-Buch und Hörbuch in englischer Sprache erhältlich. Weshalb es keine Übersetzung gibt, werden wir im Podcast möglicherweise auch ansprechen.