Im MikroBuch #42 besprechen Jenni, Marco und Barbara den Roman Gott ist nicht schüchtern von Olga Grjasnowa. Das Buch, mit einer Verkaufszahl von mehr als 50’000 Exemplaren längst zum Bestseller geworden, erschien 2017.
Individuelle Fluchterfahrungen
Zwar mag Gott nicht schüchtern sein, aber ich bin es regelmässig, wenn es darum geht, Romane so zusammenzufassen, dass Interessierte am Roman nicht gespoilert werden. Ich versuch’s also ganz vorsichtig: Der Roman erzählt die Geschichte von drei jungen, sehr gut ausgebildeten Menschen aus der syrischen Oberschicht. Sie wollen dem Bürgerkrieg in Syrien entkommen und landen schließlich in Deutschland. Da sind zum einen die Schauspielerin Amal und der angehende Regisseur Youssef, die flüchten müssen, da sie aufgrund ihres politischen Engagements Repressionen des Assad-Regimes fürchten müssen. Da ist zum anderen Hammoudi, der als Arzt in Paris arbeitet, aber in den politisch unruhigen Zeiten um 2011 bei einem Syrienbesuch seinen Pass nicht mehr verlängert bekommt und deshalb nicht mehr ausreisen darf. Als Arzt erfährt er unmittelbar die Gräuel des Krieges. Wohin sein Schicksal ihn führt, erfahren wir meist über seine gedanklichen Zwiegespräche mit der Verlobten Claire. Diese Einträge sind im Stile eines Tagebuchs gehalten. Beide Handlungsstränge des Romans laufen weitgehend parallel und kreuzen sich nur kurz. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten: die drei teilen soziale Herkunft, humanitär-politisches Engagement und die Fluchterfahrung nach Europa.
Mit diesen Schicksalen geht es Grjasnowa vor allem darum, das stereotype Bild vom „Flüchtling“ hierzulande aufzubrechen und die Individualität der Schicksale zu betonen.
Diskussion + Empfehlungen
Nach Angaben der Autorin handelt es sich bei dem wuchtigen Titel um ein Zitat aus dem Koran, das besagt, dass Gott nicht zögert, seine Feinde zu bestrafen. Grjasnowa bezieht sich mit ihrer Anspielung jedoch nicht auf einen überirdischen Gott, sondern auf Baschar al-Assad, der sich allgegenwärtig als Gottheit in Syrien inszeniert habe.
Wenn Euch der Roman interessiert und Ihr mit uns diskutieren möchtet, aber wenig Zeit zum Lesen habt, dannn empfehlen wir Euch die vierteilige Hörspiel-Version aus der WDR-Mediathek. Sie ist noch bis Oktober 2024 abrufbar. Als stimmungsvoller Einstieg ist auf jeden Fall der Song «Freedom is a verb» empfehlenswert. Der Songtitel dient dem Roman als Epigraph und deutet auf die vielschichtige kulturelle Identität der Autorin hin.